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Hausarztmodell unter der Lupe einer Hausärztin

Dr. med. Sandra Fussen wurde zum Hausarztmodell befragt: Wie erlebt sie als Hausärztin den Praxisalltag im Rahmen des Modells? Welche Vorteile erkennt sie für Patientinnen und Patienten sowie für die hausärztliche Versorgung insgesamt? Und welche Entwicklungen erwartet sie für die Zukunft? Ihre Einschätzungen geben einen authentischen Einblick in das Hausarztmodell aus der Sicht einer Hausärztin.

Welche Vorteile des Hausarztmodells sehen Sie für Ihre Patientinnen und Patienten?
Das Hausarztmodell ermöglicht eine koordinierte und kontinuierliche Betreuung, da beim Hausarzt sämtliche Fäden zusammenlaufen. Dies erlaubt eine gezielte Steuerung der Versorgung, reduziert Mehrfachabklärungen und beugt insbesondere einer Polypharmazie vor. Gerade für chronisch kranke oder mehrfach belastete Patientinnen und Patienten ist das ein grosser Gewinn an Sicherheit und Effizienz.
 
Welche Vorteile bringt das Modell für Sie als Hausärztin?
Auch wenn das Modell organisatorisch nicht direkt entlastet, wissen wir in der Regel, wo sich unsere Patient:innen in Behandlung befinden. So können wir gezielt Berichte anfordern und erhalten diese meist auch zuverlässig. Wenn hingegen Fachkonsultationen oder Spitalaufenthalte ohne unsere Kenntnis erfolgen, entstehen Mehraufwand, Doppelspurigkeiten und unnötige Zusatzabklärungen. Das Hausarztmodell stärkt zudem unsere Rolle als zentrale Ansprechperson.
 
Wie hat sich die Rolle der Hausärztin im Laufe der Jahre verändert?
Die Hausärztin ist heute nicht nur medizinische Bezugsperson, sondern zunehmend organisierende Schnittstelle des Gesundheitswesens. Trotz wachsendem Verwaltungsaufwand bleibt bei guter Arzt-Patienten-Beziehung die Hausärztin weiterhin erste Anlaufstelle für medizinische Anliegen sowie für die Rücksprache nach Facharztterminen – auch auf ausdrücklichen Wunsch der Patienten.

Beobachten Sie eine stärkere Patientenbindung durch das Hausarztmodell?
Ja, definitiv. Das Hausarztmodell fördert durch seine Struktur ein langfristiges Vertrauensverhältnis, was sich in einer stärkeren Bindung und besseren Behandlungsführung niederschlägt. Die Kontinuität schafft Stabilität – besonders bei vulnerablen Gruppen.
 
Wo sehen Sie organisatorischen Mehraufwand, und wo profitieren Sie von Entlastung?
Entlastung bietet das Modell insofern, als es uns die Versorgungsübersicht erleichtert und eine koordinierte Patientenführung ermöglicht. Mehraufwand entsteht hingegen oft durch nicht angekündigte Facharztkontakte oder Spitaleintritte ohne unsere Kenntnis – dies führt zu Informationsdefiziten, die mit erheblichem Zeitaufwand kompensiert werden müssen.
 
Welchen Leistungserbringer (z. B. Telemed, Apotheken, Spitex) sollten im Rahmen eines Versorgungs- oder Versicherungsmodells stärker eingebunden werden?
Im aktuellen System sehen wir keinen akuten Bedarf für eine stärkere Einbindung zusätzlicher Leistungserbringer. Die Struktur funktioniert im Grundsatz gut. Wichtiger erscheint uns, die bestehenden Rollen klar zu definieren und Doppelspurigkeiten zu vermeiden.
 
Wie sehen Sie die Zukunft des Hausarztmodells in den nächsten 5–10 Jahren?
Die Perspektive ist leider besorgniserregend. In vielen Regionen der Schweiz wird die hausärztliche Grundversorgung in absehbarer Zeit nicht mehr flächendeckend aufrechterhalten werden können. Der Nachwuchsmangel ist dramatisch. Die Folge wird sein, dass Notfallstationen überlastet werden und Apotheken versuchen, diese Lücken zu füllen – oft ohne entsprechende medizinische Ausbildung. Für viele Patienten wird es künftig schwierig sein, überhaupt einen Hausarzt oder eine Hausärztin zu finden. Das Hausarztmodell bleibt in der Theorie ein wertvolles Instrument, in der Praxis jedoch zunehmend gefährdet.

Dr. med. Sandra Fussen

Hausarztpraxis Zofingen AG

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