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Wie das Hausarztmodell die Versorgung prägt

Hausärztinnen und Hausärzte sind zentrale Pfeiler einer funktionierende Gesundheitsversorgung. Doch ihre Rolle verändert sich – strukturell, digital und politisch. Wie sich das Hausarztmodell entwickelt, wo die Herausforderungen liegen und welche Unterstützung es braucht, erklärt Frau Yvonne Gilli im folgenden Interview.

Welche Rolle spielen die Ärztenetze für die Grundversorgung?
Mittlerweile kann man sie zur versorgungskritischen Infrastruktur zählen in der Schweiz. Sie spielen als eine zentrale Rolle, sowohl um die Grundversorgung zu sichern als auch die Qualität der Versorgung stetig weiterzuentwickeln.

Inwiefern hat sich die Rolle der Grundversorger im Laufe der Jahre verändert?
Es hat ein eindrücklicher Strukturwandel stattgefunden, weg von der Einzelpraxis, hin zu Gruppenpraxen. Dabei hat sich auch die Rechtsform geändert, weg vom Einzelunternehmen hin zu juristischen Gesellschaften wie Aktiengesellschaften, Genossenschaften oder GmbH’s.

Können andere Leistungserbringer die Rolle der Grundversorger unterstützen oder gar
übernehmen?
Die ärztliche Grundversorgung ist ein zentraler und unersetzbarer Pfeiler jeder qualifizierte
medizinischen Grundversorgung. Je hoch entwickelter ein Land ist, desto mehr arbeiten die Aerztinnen und Aerzte eng zusammen mit weiteren Berufen der Gesundheitsversorgung. Insbesondere medizinische Praxiskoordinatorinnen, Pflegefachleute oder Physician Associates können Aerzte und Aerztinnen in Teilbereichen wirksam entlasten.

Sollte der Staat Grundversorger stärker unterstützen oder eher Marktmechanismen fördern?
Sowohl als auch. Es ist klar eine staatliche Aufgabe, deutlich mehr Aerzte und Aerztinnen auszubilden und ihre Weiterbildung zur medizinischen Grundversorgerin finanziell zu sichern. Im Uebrigen sollte der Staat eine zurückhaltende subsidiäre Rolle spielen und zum Beispiel gut geprüfte Tarife genehmigen, aber auf partielle Tarifeingriffe verzichten.

Welchen Stellenwert messen Sie dem Hausarztmodell in der Grundversorgung bei?
Das Hausarztmodell stärkt zeitgemäss die Eigenverantwortung, auf ärztlicher Seite wie bei Patientinnen und Patienten. Patientinnen verpflichten sich, vor weiteren Konsultationen oder chirurgischen Eingriffen ihre Haus- oder Kinderärztin im Sinne einer «Zweitmeinung» zu kontaktieren. Haus- und Kinderärztinnen wiederum verpflichten sich zur kontinuierlichen Qualitätsentwicklung, welche auch einen sorgfältigen Umgang mit den finanziellen Ressourcen umfasst.

Wer eine Hausarztpraxis konsultiert, sollte im verbindlichen Hausarztmodell (kein Listenmodell)
versichert sein. Sehen Sie das auch so? Wenn NEIN, wieso nicht?
Ja klar. Listenmodelle sollten grundsätzlich abgeschafft werden, weil es bei diesen keine Zusammenarbeit mit der Aerzteschaft gibt. Krankenversicherer nehmen einfach ohne jede Rücksprache diejenigen Praxen auf ihre Liste, welche für sie billig arbeiten. Weder die Qualität noch die Charakteristika der Behandlungen werden dabei berücksichtigt.


Welche Rolle spielt die Digitalisierung (z. B. elektronische Patientendossiers, Telemedizin) für
Weiterentwicklung des Hausarztmodells?
Praxen sind bereits heute digitalisiert. Sie nutzen diejenigen digitalen Werkzeuge, welche sie in der Behandlung ihrer Patienten unterstützen. In Zukunft kann eine durchgängige digitale Kommunikation vom Patienten über die Aerztin bis zum Spital, Röntgeninstitut oder medizinischem Labor eine grosse Effizienzsteigerung bedeuten. Auch die Telemedizin wird Einzug halten in jede Praxis – viele Diagnosen können heute bereits im virtuellen Kontakt sicher gestellt werden und auf eine zusätzliche Konsultation kann im komplikationslosen Verlauf verzichtet werden. Der Begriff «elektronisches Patientendossier» bezieht sich in der Schweiz auf ein Spezialgesetz, das EPDG. Bis heute ist diese Form des Patientendossiers nutzlos und nicht praxistauglich.


Wie kann die Attraktivität des Hausarztberufs gefördert werden, damit genügend Hausärztinnen
und Hausärzte zur Verfügung stehen?
Der Anteil der Aerztinnen, welche den Hausarztberuf ergreifen, ist in der Schweiz seit Jahrzehnten konstant. Wir bilden aber zu wenige Aerzte und Aerztinnen aus, und aus dem Ausland kommen überwiegend Spezialärztinnen zu uns. Die benötigten Massnahmen sind deshalb einigermassen klar: Aus- und Weiterbildung stärken, u.a. durch gezielte Programme in der Weiterbildungsphase, welche auch finanziell gesichert sind, verbunden mit einer sach- und zeitgemässen Tarifierung. TARDOC muss dazu einen wichtigen Beitrag leisten, kann das aber nur, wenn der Bundesrat einsieht, dass die vorgeschriebenen Kostenkorridore und das verordnete Globalbudget die ärztliche Grundversorgung existenziell gefährden 
werden.

Dr. med Yvonne Gilli

Dr. med. Fachärztin für Allg. Innere Medizin Präsidentin der FMH

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